09/26/2025 | Press release | Archived content
Bundeskanzler Merz hat beim Ecosystem Summit der Schwarz-Gruppe unterstrichen, dass Europa sich stärker auf digitale Souveränität und eigene Rechenzentren konzentrieren müsse. "Ich möchte, dass wir in Europa - nicht nur wir in Deutschland, sondern wir in Europa - unabhängiger werden, souveräner werden, dass wir auch einen Teil unserer Stärken selbst entwickeln."Deutschland sei zu stark von Softwareaus den Vereinigten Staaten abhängig.
Der Ecosystem Summitin Berlin wurde von der Schwarz Gruppe veranstaltet und hat sich mit Themen wie nachhaltigem Wirtschaften, gesundem Leben und digitaler Souveränität befasst. Bundeskanzler Merz hat dort eine Rede gehalten und sich im Anschluss den Fragen der Teilnehmenden gestellt. Die Schwarz-Gruppe ist die viertgrößte Handelsgruppe der Welt, ihren Hauptsitz hat sie in Neckarsulm.
Sehr geehrter, lieber Herr Chrzanowski,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
herzlichen Dank für die freundliche Begrüßung! Ich habe den Eindruck, ich bin der einzige Krawattenträger hier im Raum. Ah, da ist noch einer! Ich komme gerade aus dem Deutschen Bundestag, und ich habe eingeführt, dass dort wieder Krawatte getragen wird. Also, vielen Dank, dass Sie nach Berlin gekommen sind! Herzlichen Dank für die Einladung zu dieser erstmaligen und nach meinem Eindruck auch einmaligen Veranstaltungen. Sie wollen das mehrfach machen, aber es ist jedenfalls in dieser Form einmalig für Berlin, was Sie aus der Schwarz Gruppe, aus der Lidl-Gruppe hier tun.
Ich freue mich, dass Sie an diesem Wochenende über viele Themen diskutieren. Auch wir tun dies. Ich komme gerade aus dem Parlament. Wir haben gerade die erste Lesung des Bundeshaushaltes 2026 abgeschlossen und in der vorigen Woche die zweite und dritte Lesung des Bundeshaushaltes 2025. Durch den Regierungswechsel hatten wir keinen Bundeshaushalt 2025. Das ist jetzt abgeschlossen und heute im Bundesrat gewesen. Vor wenigen Minuten hat der Bundesrat entschieden, dass wir das Sondervermögen über 500 Milliarden Euro in Kraft setzen. Damit, meine Damen und Herren, kann in Deutschland investiert werden wie nie zuvor. Deswegen ist das heute auch ein guter Tag für uns alle.
Aber lassen Sie mich die Gelegenheit nutzen, um ein bisschen einzuordnen, wo wir stehen. Denn es sind keine normalen Zeiten, sondern wir stehen von vielen Seiten unter Druck. Ich sage das wirklich ohne jede Larmoyanz, aber wahrscheinlich stand noch nie eine Regierung in Deutschland, sieht man vielleicht von der ersten nach 1949 ab, vor so großen gleichzeitigen Herausforderungen wie die, die seit dem 6. Mai im Amt ist, vor Herausforderungen, die nicht nur nationale Herausforderungen sind - auf sie komme ich natürlich noch zu sprechen -, sondern auch europäische Herausforderungen und globale Herausforderungen.
Insbesondere das, was wir auf der Weltbühne sehen, ist eine so fundamentale Veränderung unserer Zeit, dass wir wahrscheinlich erst in einigen Jahren aus der Rückschau zutreffend beurteilen können, was wir zurzeit erleben. Zeitenwende heißt es; Epochenbruch hat der Bundespräsident es genannt. Ich, meine Damen und Herren, nenne es eine geradezu fundamentale Verschiebung der politischen und ökonomischen Machtzentren auf der Welt. Es geht um politische Macht. Es geht zum Teil um militärisch durchgesetzte politische Macht. Wir erleben das erste Mal seit Jahrzehnten wieder in großem Umfang den Versuch, mit militärischer Macht Grenzen zu verschieben, und dies nicht irgendwo auf der Welt, sondern in Europa. Bitte sagen Sie nicht, das sei dieser schreckliche Krieg in der Ukraine. Lieber Vitali Klitschko, wir beide haben uns oft genug darüber unterhalten und auch in Kiew getroffen. Ich glaube, ich darf es hier in aller Namen sagen: Wir stehen an der Seite der Ukraine, und wir bleiben an der Seite der Ukraine.
Aber, meine Damen und Herren, wir tun dies nicht allein um der Ukraine willen. Das allein wäre Grund genug, aber wir tun es um unsertwillen. Wir tun damit etwas für unsere Freiheit. Wir wollen versuchen, die politische Ordnung unseres Kontinents zu bewahren, und das ist eine Ordnung der politischen Freiheit, der Demokratie, der offenen Gesellschaften und - ja, es ist ein altmodisches Wort - der regelbasierten Ordnung. Wir wollen uns an Regeln, an Gesetze, an Verträge, an völkerrechtliche Bindungen halten. Dass dies nicht mehr selbstverständlich ist, und zwar nicht nur in der Ukraine, sondern auch in vielen anderen Teilen der Welt, das können Sie jeden Tag in den Nachrichten nachverfolgen. Viele andere Teile der Welt sind nicht mehr nur autoritäre politische Systeme. Ich sage es mit allergrößtem Bedauern, und viele, die mich kennen, wissen, wie sehr ich mit diesem Land verbunden bin, aber es gilt eben leider auch für Amerika. Die Veränderungen, die wir in den Vereinigten Staaten von Amerika gegenwärtig sehen, sind nicht über Nacht gekommen, und sie werden auch nicht über Tag wieder gehen. Sie sind nicht mit den nächsten Wahlen plötzlich wieder verschwunden. Dieses Land hat sich über die letzten Jahre und vielleicht Jahrzehnte so fundamental verändert, dass auch dort jetzt Regeln nicht mehr eingehalten werden, die parlamentarische Demokratie unter Druck steht, die Meinungsfreiheit infrage gestellt und Repression auf die Unabhängigkeit der Justiz ausgeübt wird.
Meine Damen und Herren, dies alles sage ich nicht, um die gute Stimmung Ihrer Begegnung hier zu dämpfen, sondern ich sage es, damit wir eine realistische Einstellung und Einschätzung dessen haben, wo wir gegenwärtig stehen. Nicht um ein Amt zu übernehmen, habe ich das Amt am 6. Mai übernommen, sondern ich habe es in der festen Absicht übernommen - sie ist ungebrochen und in den letzten Wochen und Monaten eher noch größer geworden -, dafür zu sorgen, dass wenigstens wir in der Bundesrepublik Deutschland und zusammen mit unseren europäischen Partnern in der Europäischen Union eine offene, freiheitliche, demokratische, marktwirtschaftlich orientierte und vor allem freie Gesellschaft bleiben. Dafür müssen wir alle zusammen viel tun.
Ich werde hin und wieder mit dem Einwand konfrontiert - ich will es gar nicht Vorwurf nennen -, ich kümmerte mich zu viel um Außenpolitik. Meine Damen und Herren, die Voraussetzung dafür, dass wir in diesem Land mit über 80 Millionen Einwohnern in der Mitte Europas in Frieden und in Freiheit leben können, ist eine funktionsfähige Europäische Union. Wenn dieses Europa scheitert, dann scheitert Deutschland. Deswegen bin ich so sehr darum bemüht und darauf bedacht, mit den Franzosen, mit den Polen, mit unseren europäischen Nachbarn im Süden, im Norden, im Osten und im Westen, übrigens auch mit den Briten, die zu meinem größten Bedauern der Europäischen Union nicht mehr angehören, jetzt eine gemeinsame europäische Außenpolitik, eine gemeinsame europäische Sicherheitspolitik und einen europäischen Binnenmarkt fortzuentwickeln, der uns alle Chancen gibt, die wir auch wirtschaftlich in dieser Europäischen Union bisher gehabt haben und die wir weiterhin nutzen wollen.
Deswegen ist Außenpolitik heute auch Innenpolitik. Wir können genauso äußere Sicherheit und innere Sicherheit nicht mehr voneinander trennen. Es geht Hand in Hand. Wenn wir von außen bedroht werden, haben wir innen keine Chance, unseren Wohlstand, unsere Freiheit und den Frieden in unserem Lande zu erhalten.
Vielleicht auch noch diese Bemerkung: Die Bedrohung ist real. Sie lesen es in den Zeitungen, Sie hören es in den Nachrichten: Drohnenüberflüge, Ausspionieren, Tiergartenmord, massive Bedrohung einzelner Personen des öffentlichen Lebens - nicht nur in Deutschland, sondern auch in vielen anderen Ländern Europas -, tägliche Sabotageakte, der Versuch, Datencenter lahmzulegen, Cyberattacken - ich vermute einmal, hier im Saal ist wahrscheinlich jeder Zweite mindestens schon einmal davon betroffen gewesen, dass seine Datennetze und Infrastruktur angegriffen wurde. Wir sind nicht im Krieg, aber wir leben auch nicht mehr im Frieden. Das muss uns klar sein, wenn wir die Herausforderungen bestehen wollen, vor denen wir jetzt stehen. Das wiederum geht nur, wenn wir ein wirtschaftlich starkes Land bleiben.
Deswegen, meine Damen und Herren, lassen Sie mich zu diesem zweiten Thema etwas sagen: Wie sehen wir unsere Volkswirtschaft, was tun wir, um Wettbewerbsfähigkeit wiederherzustellen und auf Dauer zu erhalten und was tun wir, um einen sozialen Rechtsstaat - Bundesrepublik Deutschland, so steht es im Grundgesetz, in unserer Verfassung - auf Dauer zu erhalten und widerstandsfähiger zu machen?
Nun, wir sind ein exportorientiertes Land. Aber auf diesen globalen Märkten werden wir auf Dauer nur dann Erfolg haben, wenn wir auch wettbewerbsfähig bleiben. Und seien wir bitte ehrlich miteinander - das sage ich auch meinen Kolleginnen und Kollegen in der Regierung: Wir haben in den letzten Jahren dramatisch an Wettbewerbsfähigkeit verloren. In den letzten zehn Jahren ist die Produktivität unseres Landes nicht gestiegen; sie hat allenfalls auf der Stelle getreten. Wir sind in vielen Branchen nicht mehr wirklich wettbewerbsfähig. Das gilt für die chemische Industrie, das gilt für den Maschinenbau, für den Anlagenbau, für die Automobilindustrie, für die Stahlindustrie. Viele Schlüsseltechnologien unseres Landes sind nicht mehr wettbewerbsfähig genug, und das lässt sich auf einen Nenner bringen: Es fehlt uns an preislicher Wettbewerbsfähigkeit.
Ich betone das deswegen so deutlich, weil wir einfach genau hinschauen müssen: Woran liegt es, dass wir so teuer geworden sind, und woran kann die Politik etwas ändern? Ich will Ihnen hier zwei große Bereiche nennen.
Der erste ist: Wir müssen dafür sorgen, dass trotz der anhaltenden Versorgungskrise die Energiepreise in Deutschland nicht weiter steigen, sondern besser so schnell wie möglich sinken. Dazu haben wir in der Bundesregierung bereits Entscheidungen getroffen. Wir haben die Gasspeicherumlage abgeschafft, wir haben die Netzentgelte gesenkt und wir haben für die gewerbliche produzierende Industrie die Steuern auf die Strompreise auf das europäische Minimum abgesenkt. Insgesamt bedeutet das eine Entlastung von rund zehn Milliarden Euro für die Wirtschaft in Deutschland und für die privaten Haushalte, die über den Jahreswechsel in Kraft tritt.
Ja, wir hätten noch mehr machen können, und ich hätte mir das auch gewünscht, aber die Restriktionen der öffentlichen Haushalte lassen das im Augenblick nicht zu. Wir wollen das so schnell wie möglich nachholen. Wir sind mit der Europäischen Kommission intensiv in der Diskussion über einen Industriestrompreis. Das ist nicht ganz einfach. Es ist genehmigungspflichtig in Brüssel, weil es einen Beihilfetatbestand auslöst. Es schafft außerdem Abgrenzungsschwierigkeiten: Was ist energieintensive Industrie? Ich weiß aus eigener beruflicher Erfahrung, was es bedeutet, wenn Industrieunternehmen zum Beispiel in der Papierindustrie - ich weiß, dass der Eigentümer eines solchen Unternehmens hier im Saal sitzt, und er weiß, wovon ich spreche - einfach wegen zu hoher Energiepreise, Gaspreise, Strompreise ihre Wettbewerbsfähigkeit verlieren. Wir wollen das lösen, und wir sind mit der Kommission auf einem Weg, die Zustimmung dafür zu bekommen, dass wir das dann aus dem Klima- und Transformationsfonds leisten können. Das machen wir.
Meine Damen und Herren, wir haben bereits am 11. Juli - an dem Tag, an dem dummerweise diese Richterwahl schiefgegangen ist, was dann alles überschattet hat, was an diesem Tag im Bundesrat verabschiedet worden ist -, also noch vor der parlamentarischen Sommerpause, alle Vorhaben der Koalition nicht nur im Bundestag verabschiedet, sondern auch im Bundesrat verabschiedet. Sie sind am Tag danach in Kraft getreten.
Dazu gehören unter anderem die größten Abschreibungsmöglichkeiten, die es für Investitionen in Deutschland in den letzten Jahrzehnten gegeben hat - dreimal 30 Prozent degressiv hintereinander. Wenn Sie nachrechnen, kommen Sie auf das Ergebnis, dass Sie dadurch innerhalb von zweieinhalb Jahren zwei Drittel Ihrer Investitionen abschreiben können. Danach sinkt der Körperschaftssteuersatz fünf Jahre hintereinander jedes Jahr um einen Prozentpunkt. Wir sind dann nach fünf Jahren bei zehn Prozent Körperschaftssteuer in Deutschland und sind damit auch international wettbewerbsfähig, was die Steuerbelastung der Unternehmen betrifft. Das sind die ersten Schritte in die richtige Richtung.
Nun weiß ich, dass das nur erste Schritte sind und dass mehr Schritte folgen müssen. Wir haben eine umfassende Reformagenda auf der Tagesordnung der Bundesregierung. Wir werden in der nächsten Woche eine anderthalbtägige Klausurtagung des Kabinetts haben, und wir werden uns insbesondere mit Staatsmodernisierung, Digitalisierung und Wettbewerbsfähigkeit beschäftigen. Wir haben erstmalig in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ein Ministerium für Digitalisierung und Staatsmodernisierung. Es gibt also nicht nur einen Titel, sondern einen Minister, der aus der Privatwirtschaft kommt - Herr Chrzanowski, Sie kennen ihn - und der in der Regierung einen super Job macht. Ich habe ihm aber gesagt: erst den Inhalt und dann die Verpackung; nicht zuerst die Werbekampagne, sondern zuerst die Entscheidungen, die wir vorbereiten und treffen.
Wir orientieren uns dabei sehr an den Vorschlägen der Initiative für einen handlungsfähigen Staat, die unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten stand, und wir werden am nächsten Mittwoch im Hinblick auf die Modernisierung unseres Staates und die Digitalisierung vieler Dienstleistungen die ersten Entscheidungen treffen. Wir bekommen einen Schub bei der Digitalisierung und bei der Staatsmodernisierung unseres Landes. Das will alles vorbereitet sein und das muss im föderalen Staat der Bundesrepublik Deutschland umgesetzt werden. Das ist nicht einfach; denn wir sind kein Zentralstaat wie Frankreich, der einfach von oben alles anordnen kann, und dann funktioniert das bis in die kleinste Gemeinde. Nein, wir sind ein föderaler Staat; wir müssen das mit den Ländern abstimmen und wir brauchen Schnittstellen, die gut funktionieren. Aber wir sind hier auf einem guten Weg.
Und vor allem: Dieser Minister hat alle Zuständigkeiten, die er braucht, um genau das umzusetzen. Wir hatten schon einmal eine Staatsministerin für Digitalisierung. Die hatte aber keinerlei Zuständigkeiten. Jetzt haben wir ein ganzes Ministerium, das aus sechs verschiedenen Ministerien die Zuständigkeiten für Digitalisierung und Staatsmodernisierung zusammengezogen hat, sodass diese Entscheidungen jetzt in einer Hand getroffen werden können, und wir werden das auch ganz konsequent umsetzen.
Der zweite große Themenbereich, meine Damen und Herren, sind die Arbeitskosten. Das sind beileibe nicht nur die Sozialversicherungsbeiträge, sondern das sind auch die Steuern, das sind die hohen Fehlzeiten, das sind die Arbeitskosten insgesamt, die wir in Deutschland haben. Wir gehen an diese Arbeit heran. Wir haben die ersten Entscheidungen getroffen, aber wir werden weitere Entscheidungen im Bereich der sozialen Sicherungssysteme treffen. Wir werden noch in diesem Jahr das erste Paket im Hinblick auf das sogenannte Bürgergeld auf den Weg bringen. Der Name wird im SGB II nicht mehr auftauchen; es wird dann "neue Grundsicherung" heißen. Wir werden uns dabei von dem Gedanken leiten lassen, dass diejenigen, die arbeiten können, in Deutschland auch grundsätzlich arbeiten sollten.
Wir werden die Systeme so umstellen, dass es wieder bessere Arbeitsanreize gibt. Vielleicht mache in diesem Zusammenhang auch die Anmerkung: Ich gehöre nicht zu denen, die glauben, dass man mit Repression, Regulierung, ständiger Bevormundung der Bürgerinnen und Bürger etwas besser machen kann. Es muss im System etwas vorhanden sein, das die Menschen dazu ermutigt und ermuntert, auch wirklich zu arbeiten und nicht im System zu bleiben und soziale Transferleistungen zu bekommen.
Die gute Nachricht ist: Wir sind uns in der Koalition darüber einig, und die zuständige Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas und ich haben vereinbart, dass wir dies jetzt gemeinsam bis hin zur Wortwahl im Gesetzgebungsverfahren auf den Weg bringen und dafür sorgen, dass wir noch in diesem Jahr die ersten Entscheidungen im Bundestag und im Bundesrat dazu treffen können. Dann wird es im Frühjahr nächsten Jahres ein weiteres großes Gesetzgebungspaket geben. Darin werden wir uns insbesondere mit den gesamten Missbrauchsfällen beschäftigen, bis hin zu den europäischen Regeln, die wir haben, mit Freizügigkeit, die für eklatanten sozialen Missbrauch in Anspruch genommen wird, und bis hin zu dem, was wir in großen Teilen des Ruhrgebietes mit sogenannten Schrottimmobilien sehen, die dort aus Insolvenzen heraus immer wieder weiterverkauft werden und die dann insgesamt durch Menschen finanziert werden, die die Freizügigkeit in Europa missbrauchen. Das gehen wir an. Damit sind wir auf dem Weg, das zu tun, was wir erreichen wollen, nämlich wirklich eine wieder wettbewerbsfähige deutsche Wirtschaft zu schaffen.
Ich weiß, dass hier noch viele Dinge zu lösen sind, viele Entscheidungen zu treffen sind. Aber lassen Sie mich vielleicht sagen, weil es auch genau in den Themenbereich hineinpasst, den Sie hier beurteilen, bewerten und besprechen: Wir haben im Kabinett bereits eine umfassende HightechAgenda verabschiedet, die jetzt von der zuständigen Ministerin umgesetzt wird, auch wiederum mit den Ländern. Denn, meine Damen und Herren, wir sind ein rohstoffarmes Land, und deshalb hängen die Zukunftsfähigkeit unseres deutschen Wirtschaftsstandorts und auch die Sicherheit unseres Standorts ganz wesentlich von einer Leistung ab: Wir müssen bei den technologischen Revolutionen unserer Zeit dabei sein. Ich gehe noch einen Schritt weiter: Ich möchte, dass wir an führender Stelle dabei sind und diesen technologischen Entwicklungen nicht hinterherhecheln. Wenn wir diesen Anspruch an uns selbst stellen, dann werden wir feststellen, dass unser Land viele Stärken hat, dass wir viele Unternehmen haben - aber wo sage ich das; hier bei Ihnen! -, in denen viele Menschen wirklich anpacken wollen, die in den Bereichen Maschinenbau, Robotik, Automobilbau, chemische Industrie, "cleantech", Biotechnologie, Medizin und Medizintechnik wirklich Innovationen auf den Weg bringen wollen und dies in Deutschland machen wollen.
Warum sage ich das so selbstbewusst? Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir eine große Zahl von Unternehmen und auch von Forschern aus der ganzen Welt anziehen können, wenn wir die richtigen Bedingungen dafür schaffen, gerade jetzt, in dieser turbulenten Zeit hier in Deutschland. Der Blick von außen auf die Bundesrepublik Deutschland, und hier sind einige internationale Gäste dabei, fällt in der Regel sehr viel positiver, sehr viel zuversichtlicher aus als der Blick von innen auf uns selbst. Deswegen möchte ich, dass wir diese Stimmung mit großer Zuversicht auf Deutschland, die wir da zum Teil von außen sehen, auch selbst für uns haben und dass wir dann gemeinsam die Weichen richtig stellen.
Wir bemühen uns um den Einsatz eigener finanzieller Mittel, aber wir wollen auch die Möglichkeiten schaffen, private Investitionen in Deutschland wieder in sehr viel größerem Umfang zu schaffen. Wir werden hier auch Innovationen in einem Bereich ermöglichen, der gerade Ihnen besonders am Herzen liegt, nämlich im Bereich der sogenannten -Gigafactories. Die -Kommission hat mindestens fünf solche Projekte für die Europäische Union ausgeschrieben. Wir haben uns aus Deutschland mit zehn verschiedenen Projekten daran beteiligt und beworben. Ich gehe davon aus, dass wir wenigstens einen Zuschlag erhalten werden, damit wir in Zukunft eines der großen Rechenzentren auch in Deutschland haben werden, und dass wir dies dann gemeinsam auch mit anderen in Europa weiterentwickeln werden.
Worum geht es in diesem Zusammenhang? Es geht um nicht mehr und um nicht weniger als um digitale Souveränität. Ich hätte vor Jahr und Tag noch gezögert, diesen Begriff zu verwenden. Aber heute, angesichts der globalen Lage, in der wir uns befinden, müssen wir diesen sehr hohen Anspruch an uns selbst stellen, meine Damen und Herren. Wir sind eben nicht nur von russischem Öl und Gas abhängig gewesen. Wir sind bis zum heutigen Tag viel zu abhängig von seltenen Erden, von Rohstoffen - aus aller Welt, insbesondere aus China -, und wir sind bis auf den heutigen Tag viel zu abhängig von Hardwareund Software- vor allem von Software- aus den Vereinigten Staaten. Ich möchte, dass wir in Europa - nicht nur wir in Deutschland, sondern wir in Europa - unabhängiger werden, souveräner werden, dass wir auch einen Teil unserer Stärken selbst entwickeln, dass wir diese Abhängigkeiten reduzieren und die Resilienzen unseres Landes in den nächsten Jahren stärken.
Dies schließt überhaupt nicht aus, sondern es schließt ein, dass wir uns als Europäer intensiv um gute Handelsbeziehungen mit großen Wirtschaftsräumen auf der Welt bemühen. Ich werbe im Augenblick in der Europäischen Union sehr dafür, dass wir noch in diesem Jahr das MERCOSUR-Abkommen mit den vier südamerikanischen Staaten abschließen. Ich werbe sehr dafür, dass wir Freihandelsabkommen mit Mexiko und mit vielen anderen Ländern der Welt weiterentwickeln und abschließen, schlanke, einfache Handelsabkommen, die uns insbesondere im Bereich der Tarife, also im Bereich der Zölle, und im Bereich der sogenannten nichttarifären Handelshemmnisse, also im Bereich der Anerkennung technologischer Standards, weiter voranbringen.
Meine Damen und Herren, es gibt viel Grund zur Kritik, aber es gibt auch viel Grund zum Selbstbewusstsein. Wir sind 450 Millionen Einwohner in Europa, und damit sind wir 450 Millionen Konsumenten in Europa. Wenn wir Großbritannien hinzunehmen, dann sind wir 500 Millionen Konsumenten in Europa. Wir sind damit doppelt so groß wie die Vereinigten Staaten von Amerika. Wir machen uns doch kleiner, als wir sind, wenn wir uns ständig nur im Schatten anderer Mächte sehen! Wir sind selbstbewusst genug, zu sagen: Jetzt ist die Zeit gekommen, dass wir wirklich unsere eigenen Stärken stärken, unsere Schwächen beseitigen und den Anspruch an uns selbst stellen, ein souveränes, handlungsfähiges, starkes Europa zu sein!
Damit lassen Sie mich abschließen. Ja, es ist schon einiges auf den Weg gebracht, aber der größere Teil der Strecke liegt noch vor uns. Ja, es ist manches auch kommunikativ nicht so gut gelaufen, wie ich mir das vorgestellt hätte. Aber schauen Sie einmal auf die ersten Monate der Regierung von Helmut Kohl. Schauen Sie einmal auf die ersten Monate der Regierung von Helmut Schmidt. Schauen Sie einmal auf die ersten Monate der Regierung von Gerhard Schröder und darauf, was da auch für Personalwechsel nötig wurden, bevor diese Regierung einmal im Tritt war. Dafür sind wir relativ schnell gut in den Tritt gekommen.
Ich kann Ihnen sagen. Wir haben verstanden, was wir leisten müssen. Wir wissen, welchen Druck von außen und welchen Druck von innen wir aushalten müssen. Gerade weil das so ist, sind Lars Klingbeil und ich, sind die /-Bundestagsfraktion und die gemeinsam fest entschlossen, diesen Wählerauftrag, den wir mit der Wahl am 23. Februar angenommen haben und den wir mit der Regierungsbildung am 6. Mai umgesetzt haben, anzunehmen, ihn auszufüllen und dafür zu sorgen, dass dies wieder ein starkes, selbstbewusstes, gesundes, wettbewerbsfähiges Land wird und, meine Damen und Herren, dass wir vor allen Dingen den Sozialstaat Bundesrepublik Deutschland im Kern erhalten können. Ich sage das ganz bewusst vor dem Hintergrund meiner Äußerungen, die ich hier wiederhole: So wie wir es zurzeit machen, können wir es auf Dauer nicht bezahlen. Aber wenn wir es richtig machen und wenn wir es wieder auf den Kern dessen, was wir den sozialen Rechtsstaat nennen, zurückführen, nämlich dass wir denen, die den Sozialstaat brauchen, wirklich ein gutes Angebot machen und sie nicht alleinlassen - anders als in vielen anderen Ländern auch der westlichen Welt -, dann werden wir auch zu einem neuen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft finden. Das ist nicht ganz einfach, aber gehen Sie davon aus, dass wir fest entschlossen sind, es zu erreichen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.