10/08/2025 | Press release | Distributed by Public on 10/08/2025 08:23
Rechtliche Lösungen gegen ungarisches Veto bei EU-Sanktionen
Unter Beschuss: Ukrainische Soldaten wehren eine russische Rakete auf Kiew ab. Das neue Sanktionspaket soll neue finanzelle Mittel bereitstellen.
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Ende Oktober will der Europäische Rat über das 19. Sanktionspaket gegen Russland entscheiden. Es sieht neben wirtschaftlichen Verschärfungen auch die Nutzung von eingefrorenen russischen Vermögenswerten zur Garantie von Krediten für die Ukraine vor und erfordert Einstimmigkeit unter den Mitgliedstaaten. Wie sich die Blockade mancher EU-Staaten überwinden lässt, erforschen zwei Rechtswissenschaftler am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht.
Rechtswissenschaftler Armin von Bogdandy ist Direktor am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg.
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Wie kann die EU Russland-Sanktionen gegen Widerstand aus Ungarn oder der Slowakei verlängern? Im Zentrum steht das 19. Sanktionspaket, bei dem rund 140 Milliarden Euro eingefrorene russische Vermögenswerte zur Garantie von Krediten für die Ukraine genutzt werden sollen. Beide Länder drohen, die Entscheidungen zu blockieren. Das rechtliche Problem: Gibt es eine Möglichkeit, solche EU-Beschlüsse in der Außen- und Sicherheitspolitik auch ohne Ungarn oder die Slowakei zu treffen? Wird ein Veto nicht überwunden, könnten zudem bis zu 200 Milliarden Euro russischer Zentralbankgelder freiwerden, die derzeit auf belgischen Verwahrstellen eingefroren sind.
Professor Armin von Bogdandy und Dimitri Spieker vom Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg arbeiten bereits seit Anfang 2025 an rechtlichen Lösungen für dieses Problem. Ihr Ansatz: Bei schwerwiegenden und systematischen Verstößen gegen den in den EU-Verträgen verankerten Wert der Solidarität könne das Veto eines Mitgliedstaats als rechtlich irrelevant gewertet werden. Zudem greife die Einstimmigkeitsregel im Fall von existenziellen Gefahren nicht, sodass Mehrheitsentscheidungen auch auf diesem Weg möglich würden.
Von Bogdandy erklärt: "Wir befinden uns in einem hybriden Krieg mit Russland. Blockiert ein Mitgliedstaat notwendige Reaktionen der EU als Druckmittel für anderweitige Zugeständnisse und gefährdet er damit Frieden und Sicherheit in Europa, stellt dies eine Verletzung des Wertes der Solidarität dar."
Spieker verweist zusätzlich auf einen weiteren Weg: "Die Stimmrechte Ungarns könnten in der gemeinsamen EU-Außenpolitik entzogen werden, weil das Land gegen die europäische Solidarität verstoßen hat. Hierfür muss aber nach Artikel 7 des EU-Vertrags einstimmig von den übrigen Mitgliedstaaten entschieden werden. Einen konkreten Entwurf für dieses Verfahren haben wir zusammen mit dem Deutschen Anwaltverein und dem Jacques Delors Center ausgearbeitet."
Rechtswissenschaftler Dimitri Spieker forscht zu europäischen Grundwerten und Rechtsgrundsätzen im EU-Recht.
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Die EU-Kommission greift diese Überlegungen nun auf. Wie der Informationsdienst Table.Media berichtete, stützt sie sich auf einen aktuellen Beschluss des Europäischen Rates, der festlegte, dass russische Vermögenswerte eingefroren bleiben, bis Russland die Ukraine entschädigt. Weil damit ein grundlegendes strategisches Ziel der EU definiert wurde, argumentiert die Kommission, können Folgeentscheidungen zu den Sanktionen nun mit qualifizierter Mehrheit getroffen werden - ohne dass einzelne Länder sie blockieren können.
Um die verschiedenen Vorschläge gibt es kontroverse Diskussionen. Während das Mehrheitsmodell der Kommission als schneller und flexibler gilt, könnten neue Rechtsfragen entstehen. Die von den MPIL-Experten entwickelten Ansätze bieten alternative rechtliche Begründungen. Spiekers Vorschlag zu einem erneuerten Artikel-7-Verfahren, das auf Verletzung des Solidaritätsprinzips gründet, findet nun auch Eingang in eine Resolution des Europäischen Parlaments gegen Ungarn.
Die Entscheidung über das weitere Vorgehen steht beim nächsten Europäischen Rat Ende Oktober an. Sie könnte sowohl für die Ukrainehilfe als auch für zukünftige Sanktionsregeln der EU Richtung weisen.