10/11/2025 | Press release | Distributed by Public on 10/11/2025 13:37
Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Wolfgang Kubicki schrieb für Cicero Online folgende Kolumne:
Diese Woche hatte es politisch wirklich in sich - und zwar auf allen Ebenen. Nur ein paar Beispiele: Europapolitisch war da der Flirt der Bundesregierung mit der Chatkontrolle, einem autoritären Plan der EU-Kommission, der noch immer nicht vollständig abgeräumt ist. Bundespolitisch gab es Zoff in der Koalition um Bürgergeld und Verbrennermotoren. Und weltpolitisch ist Frieden im Nahen Osten so greifbar wie schon lange nicht mehr geworden. Über all diese Themen ließen sich mehrere Kolumnen schreiben, aber gerade in solchen Wochen lohnt ein Blick auf die Themen, die in der allgemeinen Gemengelage untergegangen sind. So zum Beispiel der Aufruf der Linken Treptow-Köpenick gegen das Online-Medium Apollo News. Dieses habe "keinen Platz" in ihrem Kiez. Man müsse ihnen daher "in die Tasten treten". Der Aufruf in großen roten Lettern lautete: "Lasst uns gemeinsam Alt-Treptow für Apollo News ungemütlich machen!". Dieses für sich genommen schon unerträgliche Gehetze gegen ein Medium wäre schon beunruhigend genug. Aber es kam nicht von irgendwem, sondern von einer Partei, die im Deutschen Bundestag und in mehreren Landtagen vertreten ist und an zwei Landesregierungen beteiligt ist. Ich nannte das Ganze daher nicht nur einen widerlichen und inakzeptablen Gewaltaufruf, sondern habe auf der Plattform X auch zu erkennen gegeben, dass ich eine klare Distanzierung der Bundesspitze der Linken erwarte. Eine Partei, die von allen großen Medien im Land nahezu völlig unkritisch als normale politische Kraft klassifiziert wird und die nicht nur in den Ländern Macht besitzt, was sie Friedrich Merz gerne aufs Brot schmieren, wenn er mal wieder eine verfassungsändernde Mehrheit braucht.
Natürlich gab es keine Distanzierung aus der Linken. Stattdessen eine Breitseite gegen die Kritiker der Aktion: "Wer Apollo News verteidigt, sollte den politischen Kompass justieren", ließ der Initiator der Kampagne, der Linken-Bezirkschef Warnke, wissen. Gemeint ist damit natürlich, dass das Online-Medium rechtskonservativ ist. Für manche Kritiker "zu rechts", wobei ich mit dieser Kategorie nichts anfangen kann. Entweder man steht auf dem Boden der Verfassung, oder nicht. Entweder man ist rechtstreu, oder nicht. Und da spielt links, rechts, Mitte, oben oder unten einfach keine Rolle. Dachte ich zumindest, aber die Botschaft des Herrn Warnke ist zwar etwas verklausuliert, aber doch deutlich: "Seht her! Die uns kritisieren, paktieren mit den Rechten!". Als ob Einschüchterung dann ok wäre, wenn einem die politische Haltung des Eingeschüchterten nicht passt. Das ist - ich sage es wie immer "ungefiltert" - komplett irre. Noch irrer ist aber, dass sowohl der Vorfall als auch die Reaktion von Herrn Warnke keine große Empörung auslösten. Der Deutsche Journalisten-Verband ließ wissen, es handele sich um ein Lokalthema und man kommentiere nur Bundesthemen. Na prost Mahlzeit - wer solche Kollegen hat, braucht eigentlich keine Feinde mehr.
Woran liegt das? Ich denke, wir haben uns in jüngster Vergangenheit schleichend an die Normalisierung politischer Gewalt gewöhnt. Vor kurzem haben Palästina-Aktivisten eine Geschäftsstelle der CDU in Göttingen zertrümmert und mit Parolen beschmiert. Auch hier blieb die große Entrüstung aus. Und auch der Fall von Michel Friedman und dessen abgesagtem Auftritt in Nordwestmecklenburg ist hier aus jüngster Vergangenheit zu nennen. Die Begründung soll zunächst gewesen sein, dass man Protest aus der rechten Szene befürchte. Das wurde später bestritten, aber eine wirklich überzeugende Begründung wurde nie geliefert. Allein auf die Idee zu kommen, das sei ein guter und plausibler Grund, einen Publizisten auszuladen, ist schon alarmierend. Aber so scheint die Stimmungslage im Land inzwischen zu sein: Wer vermeintlich oder tatsächlich mit unbequemer Meinung auffällt, braucht sich nicht zu wundern, wenn die Gegenreaktionen etwas heftiger ausfallen.
Ich denke, unsere Maßstäbe sind hier in geradezu gefährlicher Weise ins Rutschen geraten. Und das ist vor allem deswegen bemerkenswert, weil wir vor einem Jahr noch recht viel Berichterstattung zu Gewaltdelikten vor allem gegen die Grünen hatten. Wobei ein näherer Blick hierbei präzisierte, dass die Grünen sich vor allem bei Beleidigungsdelikten und Ähnlichem besonders betroffen fühlen konnten. Bei tatsächlicher Gewalt waren vor allem Vertreter der AfD besonders betroffen. Ein Umstand, der schon damals zu wenig Beachtung fand. Dabei geht es ja keineswegs darum, irgend eine politische Richtung zu Märtyrern oder Ähnlichem zu stilisieren. Sondern es geht um die eigentlich recht einfache Frage: Tolerieren wir Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung? Nein? Sehr gut!
Die Anschlussfrage lautet aber: Tolerieren wir sie bei manchen etwas mehr, weil wir finden, der oder die Angegriffene habe es irgendwie verdient? Diese Frage wird nicht mit dem gleichen entschlossenen Nein beantwortet, und darin liegt das Problem. Eine rote Linie ist eine rote Linie, und die sollten wir schleunigst wieder ziehen, wo offen oder verdeckt mit Gewalt gegen Andersdenkende kokettiert wird.
Wenn bestimmte Veranstaltungen nur noch mit Polizeischutz möglich sind, wenn Podien aus Angst vor Randalen abgesagt werden, wenn Menschen wegen ihrer Meinung sich nicht mehr ohne Personenschützer bewegen können, steht der liberale Kern unserer Gesellschaft in Frage.
Ich bin ein leidenschaftlicher Verfechter des Streits. Ich halte ihn für überlebensnotwendig in einer funktionierenden Demokratie. Das meint aber nur den zivilisierten Streit in Rede und Gegenrede.
Meine rote Linie ist dabei deutlich früher gezogen als bei vielen, die sich weniger streitlustig als ich und vermeintlich konsensorientiert präsentieren. Nie würde ich etwa auf die Idee kommen, Menschen, die mir politisch nahestehen, im Zorn auf einen politischen Mitbewerber vor dessen Geschäftstellen zu schicken, wie es Linke und Grüne im vergangenen Wahlkampf in der Auseinandersetzung um das Zustrombegrenzungsgesetz getan haben. Derartige Machtdemonstrationen unter politischen Mitbewerbern sind nicht nur unnötig, sondern sie offenbaren die eigene Schwäche. Denn politische Macht sollte in einer Demokratie aus der Stärke des Arguments erwachsen. Natürlich auch laut und pointiert vorgetragen. Natürlich auch auf Demonstrationen und Versammlungen. Aber doch bitte nicht, um den Gegner einzuschüchtern.
Ganz Deutschland hielt für einen Moment den Atem an, als die abscheuliche Gewalttat gegen die frisch gewählte Bürgermeisterin aus Herdecke publik wurde. Der Fall schlug wohl auch deswegen so hohe Wellen, weil die Mehrheit ein politisches Motiv für überwiegend wahrscheinlich hielt. Das ist der Zustand der politischen Kultur in Deutschland. Es gibt in einer freien Gesellschaft nie absolute Sicherheit, aber wir haben es ein Stück weit doch selbst in der Hand, indem wir wenigstens versuchen, den Maßstab für das, was uns empört, wieder etwas zu finden.
Eine so offene Einschüchterung, inklusive Vertreibungsfantasien Andersdenkender aus bestimmten Stadtteilen, wie wir es von den Linken in Treptow erleben mussten, ist inakzeptabel, sie ist verachtenswert, und es ist eine Schande, dass eine im Bundestag vertretene Partei nicht den Anstand besitzt, sich von so etwas zu distanzieren.