10/30/2025 | Press release | Distributed by Public on 10/30/2025 08:49
Vermeintliches "Rauschen" spiegelt den Schweregrad von Parkinson-Symptomen wider
Wissenschaftler haben eine neue elektrische Signatur für Parkinson-Symptome entdeckt.
© MPI CBS/VistaPrime
Was passiert im Gehirn, wenn ein Mensch unter den typischen Bewegungsstörungen der Parkinson-Krankheit leidet? Forscher in aller Welt versuchen einer Antwort auf ganz unterschiedlichen Wegen näherzukommen. Einer davon führt direkt über Elektroden ins Gehirn von Parkinson-Patienten. Die sogenannte Tiefe Hirnstimulation ist nicht nur eine etablierte Therapie, bei der elektrische Impulse die Symptome lindern - sie ermöglicht auch einzigartige elektrische Messungen in der Tiefe des menschlichen Gehirns. Die damit gewonnenen Daten lassen sich nutzen, um die Vorgänge im Gehirn bei Parkinson besser zu verstehen - und neue Ansatzpunkte für zukünftige Therapien zu schaffen.
Auf diesem Weg sind jetzt die Max-Planck-Forscher in enger Zusammenarbeit mit führenden europäischen Zentren für Tiefe Hirnstimulation, darunter die Charité Berlin, die Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, das University College London und die University of Oxford, einen wichtigen Schritt vorangekommen. Die Wissenschaftler untersuchten für ihre Studie die sogenannten "Beta-Wellen", die etwa 20-mal pro Sekunde schwingen, deren Stärke aber variiert. Lange galt: Je stärker die Beta-Wellen, desto ausgeprägter die Bewegungsstörungen. Doch bislang blieb die Datenlage widersprüchlich. "Wir fragten uns, weshalb die bisherigen Ergebnisse aus unterschiedlichen Studienzentren so uneinheitlich waren", sagt Vadim Nikulin vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig. "Unterschieden sich die Patientengruppen, die Messgeräte oder die Auswertungsmethoden?"
Um das zu beantworten, initiierte das Team eine enge Kooperation mit führenden europäischen Universitätskliniken - ein bislang einmaliger Zusammenschluss im Bereich der Tiefenhirnstimulation, gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 'Retune'. Gemeinsam trugen sie mehrere unabhängig gemessene Datensätze zusammen, für die sie nun ein einheitliches Analyseverfahren entwickelten und damit zu einer klaren Antwort kamen: Die Unterschiede in Methoden oder Geräten waren vernachlässigbar - entscheidend war jedoch die Stichprobengröße. Zwar war der Zusammenhang zwischen Beta-Wellen und Symptomen vorhanden, allerdings schwächer als gedacht. Erst bei über 100 Patienten ließ sich ein verlässlicher Effekt nachweisen - frühere Studien waren oftmals deutlich kleiner.
Insbesondere aber ergab der systematische Vergleich bisheriger Auswertestrategien, dass viele Studien nicht zwischen rhythmischer und nicht-rhythmischer Hirnaktivität unterschieden - obwohl beide unterschiedliche neuronale Prozesse widerspiegeln. "Man kann sich das Gehirn wie einen Saal voller Musiker vor der Generalprobe vorstellen", erklärt Moritz Gerster, der die Studie leitete. "Kleine Gruppen spielen schon gemeinsam im Takt und erzeugen so einen klaren Rhythmus; viele üben aber noch jeweils für sich, was sich zu einem nicht-rhythmischen Rauschen überlagert. Misst man einfach nur die Lautstärke im Saal, vermischt sich alles."
Tiefe Hirnstimulation lindert Parkinson-Symptome - und erlaubt Einblicke in die Aktivität des subthalamischen Kerns. Diese Signale könnten künftig eine personalisierte Therapie ermöglichen.
© VistaPrime/MPI CBS
Das Team setzte daher gezielt Analysemethoden ein, die rhythmische Aktivität und das nicht-rhythmische 'Rauschen der Nervenzellen' trennte - und konnte gerade durch diese Differenzierung den Zusammenhang mit Bewegungsstörungen deutlich besser erklären. Aber auch der anatomische Ursprung der rhythmischen Beta-Wellen stimmte besser mit der therapeutischen Stimulationslokalisierung überein - ein möglicher Schritt hin zur automatisierten Ortsauswahl von Stimulationselektroden, die bislang aufwändig manuell bestimmt wird.
Die große klinische Vielfalt der Patienten stellte eine weitere Herausforderung dar. Alter, Krankheitsdauer sowie Symptomkombinationen variierten erheblich, und eine gesunde Kontrollgruppe fehlte, da die Tiefe Hirnstimulation nur bei schwer Betroffenen eingesetzt wird. Um dem entgegenzutreten, nutzten die Forscher die häufig auftretende Asymmetrie der Krankheit: Eine Körperseite ist stärker betroffen als die andere. "Das brachte uns auf die Idee, die stärker betroffene Hirnhälfte mit der weniger betroffenen zu vergleichen", sagt Moritz Gerster. "So diente jeder Patient oder jede Patientin gewissermaßen als eigene Kontrollperson." Die Analyse zeigte: In der stärker betroffenen Hirnhälfte war die nicht-rhythmische, rauschähnliche Aktivität signifikant erhöht. "Das deutet auf eine gesteigerte Feuerrate der Nervenzellen hin - ein Befund, der bereits in Tiermodellen der Parkinson-Krankheit beschrieben wurde", erklärt Gerster weiter.
Diese elektrische Signatur könnte künftig dazu beitragen, die Tiefe Hirnstimulation gezielter zu steuern. Anstatt kontinuierlich Impulse zu senden, kann die Stimulation an der aktuellen Hirnaktivität ausgerichtet werden - Stimulation also nur dann, wenn sie tatsächlich benötigt wird. Erste 'adaptive' Stimulatoren, die solche Echtzeit-Anpassungen ermöglichen, sind inzwischen verfügbar. Inwieweit sich dabei die neue 'Rausch-Signatur' unter Alltagsbedingungen bewährt, kann nun in Folgestudien mit diesen modernen Geräten untersucht werden.