Office of the Federal President of the Republic of Austria

10/01/2025 | Press release | Distributed by Public on 10/01/2025 06:29

Bundespräsident: »Was, wenn Willkür sich grundsätzlich über Recht erhebt?«

Alexander Van der Bellen warnt anlässlich des Verfassungstages vor schnellen Lösungen im österreichischen Justizsystem.

Meine Damen und Herren, guten Tag!

Ich freue mich, hier zu sein.

"I'm happy to be here with you" - mit diesen Worten hat US-Talkshow-Host Jimmy Kimmel seine Eröffnungsrede begonnen, seine erste, nachdem seine Show kurzzeitig vom Sender aus dem Programm genommen wurde.

Kimmel meinte weiter, er hätte das Recht, seine Meinung zu äußern, irrtümlich für selbstverständlich gehalten.

Durch den politischen Druck auf den Sender, durch die öffentliche Androhung von Konsequenzen, wurde seitens der Behörde FCC versucht, die Show aus dem Programm zu zwingen.

"Unamerikanisch", so bewertete Jimmy Kimmel diese Vorgehensweise.

Ich würde sagen: Undemokratisch. Und brandgefährlich.

Denn worum es hier geht, nämlich das Recht, seine Meinung zu äußern, ist ein Grundrecht.

Nicht nur in den USA, als "First Amendment", auch bei uns in der EU, fest verankert in der Europäischen Menschenrechtskonvention. Und die hat in Österreich Verfassungsrang.

Klar, letzte Woche ging es "nur" um eine Late Night Show.

Aber was passiert, wenn als nächstes das Recht auf Freiheit, auf Sicherheit, auf ein faires Verfahren -oder das Recht auf Leben infrage steht?

Was, wenn Journalistinnen und Journalisten nur mehr das berichten dürfen, was den Regierenden gerade in den Kram passt?

Was, wenn Willkür sich grundsätzlich über Recht erhebt?

Jetzt wird Kimmels Show zwar wieder ausgestrahlt, aber nicht ohne Risiko für den Sender.

Zurecht hat der Fall in den USA eine große Unsicherheit ausgelöst. Und er ist ja nur die Spitze eines Eisbergs, mit dem die amerikanische Demokratie zu kollidieren droht.

Wer einen Dominostein im demokratischen Gefüge anstößt, wie eben das Recht auf freie Meinungsäußerung einer ist, bringt damit viel mehr ins Wanken:

Die gesamte Rechtsstaatlichkeit, die Grundlagen der Demokratie, und nicht zuletzt das Vertrauen in diese beiden wichtigen Grundpfeiler.

Daher müssen wir ganz dringend darauf pochen, dass diese Rechte, die auf unseren gemeinsamen Werten beruhen, unerschütterlich bleiben.

Rede von Bundespräsident Alexander Van der Bellen zum Verfassungstag in Verfassungsgerichtshof (Foto: Peter Lechner/HBF).

Und doch werden sie neuerdings vielfach infrage gestellt. Die politische und wirtschaftliche Situation ist angespannt und extreme Politiker, aber auch Stimmen des politischen "Mainstream", fordern neue massive Grundrechtseingriffe.

Themen wie Migration, Klimakatastrophe oder KI sind in einer kritischen historischen Phase - heiß umfehdet und wild umstritten, nicht nur in Österreich, sondern überall auf der Welt.

Und weil die Welt sich schnell bewegt, werden auch schnelle Lösungen verlangt.

Und ehe man sich versieht, stehen die Menschenrechte der einen oder anderen schnellen Lösung im Weg.

Unbequem ist das.

Mühevoll.

Aber unsere Werte, unsere Demokratie, die Rechtsstaatlichkeit, unsere freie und friedliche Lebensweise - all das ist jede Mühe wert.

Jede Idee, wie man mit aktuellen Herausforderungen umgehen soll, muss daher den rechtsstaatlichen Rahmen wahren.

Dafür sorgt vor allem: Ein gut funktionierendes Justizsystem. Es ermöglicht faire Gerichtsverfahren und stellt sicher, dass nationales und internationales Recht nicht verletzt wird.

Die Gerichte müssen unabhängig und unparteiisch sein. Politik darf sie nicht beeinflussen.

Das ist heikel, schon bloße Zweifel daran, sie könnten nicht auf Basis des Rechts, sondern interessengeleitet entscheiden, beschädigen das öffentliche Vertrauen in das Funktionieren der Justiz.

Besonders schützen muss man Höchstgerichte, die in letzter Instanz entscheiden und auf die Akzeptanz der Menschen angewiesen sind.

Unsere - elegante - Verfassung steht auf Papier, zum Leben erwecken wir sie durch das, was wir tagtäglich tun.

Wenn die Akzeptanz der Rechtsordnung schwindet, dann auch die Macht ihrer Buchstaben auf dem Papier.

Meine Damen und Herren,

diese Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger, gibt es aber nicht umsonst. Unsere Demokratie muss jeden Tag erneuert werden, genauso wie das Vertrauen in den Rechtsstaat.

Jede Ebene der Justiz, - von der ersten Instanz bis zum Verfassungsgerichtshof - muss entscheiden, wie sie das am besten kann. Ob das die bessere Begründung und Erklärung von Urteilen ist, oder ob Sie Ihren Gerichtshof der Öffentlichkeit präsentieren, so wie das der VfGH heute am Verfassungstag tut. Aber getan werden muss es.

Akzeptanz und Vertrauen können niemals für selbstverständlich gehalten werden, von keiner Institution unserer Republik. Die Justiz ist davon nicht ausgenommen.

Entwicklungen wie ich sie eingangs aus den USA geschildert habe, sind nur möglich, wenn immer mehr Menschen dort diese mittragen, tolerieren, akzeptieren.

Tragen wir alle gemeinsam dafür Sorge, dass das in Österreich nicht passiert. Das ist eine wichtige und höchst verantwortungsvolle Aufgabe.

Vielen Dank.

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