Government of the Grand Duchy of Luxembourg

11/06/2025 | Press release | Distributed by Public on 11/06/2025 01:45

Interview mit der Ministerin für Gleichstellung und Diversität Yuriko Backes

Interview: forum

forum: 2024 sagten Sie im Rahmen des ersten Meetings des Comité prostitution: "Historically, prostitution and society's attitude towards it is a classic topic for equality policy." [1] Worin sehen Sie die Aufgabe der Gleichstellungspolitik in Bezug auf Sexarbeit in Luxemburg?

Yuriko Backes: Zu dieser Aussage stehe ich nach wie vor. Zunächst einmal lohnt sich ein geschichtlicher Rückblick. Es war die erste Frauen Ministerin Marie-Josée Jacobs, die sich der Frage annahm, wie wir als Gesellschaft und als Politik mit dem Thema Prostitution umgehen sollen. Die Schaffung des dropln im Bahnhofsviertel der Stadt Luxemburg 1998 war damals ein wichtiges Statement als erste Anlaufstelle für Sexarbeitende in Luxemburg, unter erheblichem Widerstand einiger Organisationen. Dieser Widerstand hat sich mittlerweile gelegt, denn das dropln wird im sozialpolitischen Gefüge Luxemburgs nicht mehr in Frage gestellt.

Seitdem liegt das Thema in der Kompetenz des Gleichstellungsministeriums, obwohl noch andere Ministerien in Teilbereichen Verantwortung tragen. Das Gleichstellungsministerium ist konkret zuständig für die Betreuung der Sexarbeiter*innen auf dem Straßenstrich in Zusammenarbeit mit dem dropln. Darüber hinaus koordinieren wir in einem übergeordneten Sinne die Politik zu diesem Thema. Die Aufgabe unserer Gleichstellungspolitik in Bezug auf Sexarbeit ist die eines sachlichen, wert freien Blicks auf diese gesellschaftliche Realität, von der - wie wir alle wissen - mehrheitlich Frauen betroffen sind.

forum: Inwieweit ist Sexarbeitspolitik heute Teil der Gender-Equality-Strategie Ihres Ministeriums?

Yuriko Backes: Die Regierung hat im ersten Halbjahr 2025 drei nationale Aktionspläne verabschiedet. Der erste bezieht sich auf die Gleichstellung von Frauen und Männern, der zweite auf die Bekämpfung geschlechtsbasierter Gewalt und der dritte bezieht sich auf die Stärkung der Rechte von LGBTIQ+ Personen. Die drei Pläne sind als Ganzes zu betrachten und stellen die Grundlage unserer gleichstellungspolitischen Akzente dieser Legislaturperiode dar. Wir betrachten die Pläne in einer Kontinuität als offene Dokumente, deren Haltbarbarkeit über 2028 hinausgeht.

Besonders in Bezug auf die Pläne zur Gewalt bzw. zu LGBTIQ+ sehen wir Schnittstellen zur Sexarbeitspolitik. Sexuelle Aufklärung und Prävention, Stärkung des bestehenden psychosozialen Netzwerks, die institutionelle Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Ministerien und Fachkomitees (Comité Prostitution, Comité Traite, Comité Violences fondées sur le genre, Comité LGBTIQ+)... das sind alles Punkte, die ein Ganzes ergeben, mit welchen das Ministerium auch das Thema Sexarbeit abdeckt.

forum: Luxemburg hat seit 2018 ein neues Gesetz, das den Verkauf von Sex legalisiert, aber den Kauf von Sex bei besonders vulnerablen Per sonen kriminalisiert. Es gilt als ein Mittel weg zwischen dem Nordischen Modell in Frankreich, der Regulierung in Deutschland und der Entkriminalisierung in Belgien. Wie beurteilen Sie die tatsächliche Wirkung des luxemburgischen Gesetzes? Wird die Schutzabsicht erfüllt oder führt es zu mehr Unsichtbarkeit und Risiko?

Yuriko Backes: Bei meinem Amtsantritt habe ich mir den Weg hin zum aktuellen luxemburgischen Modell genau angesehen. Es war das erste Mal, dass sich die hiesige Politik umfassend mit dem Thema auseinandergesetzt hatte, auch öffentlich im Rahmen von Pressekonferenzen und Parlamentsdebatten. Die damalige Regierung hatte mit Hilfe einer informellen Plattform Prostitution, zusammengesetzt aus Vertreter*innen verschiedener Ministerien, der Polizei, den Justizbehörden, dem dropIn und der HIV-Berodung sowie der Sozialdirektion der Stadt Luxemburg, und mittels einer Konsultationsdebatte im Parlament die Entscheidung getroffen, erstens einen nationalen Aktionsplan auszuarbeiten und zweitens ein Gesetz im Rahmen des Aktionsplans zu verabschieden, mit der Zielsetzung, den Kampf gegen den Menschenhandel zu verstärken.

und besonders vulnerable Gruppen zu schützen, insbesondere Minderjährige, indem man den Klienten bestraft, sollte er in Kenntnis der jeweiligen Lebenssituation der vulnerablen Person sein.

Beides wurde evaluiert im Rahmen eines Berichts der Plattform, der zu Corona Zeiten im Dezember 2021 ausgearbeitet wurde. Die Bilanz ist eher gemischt. Zum einen wurden im Rahmen des Nationalen Aktionsplans wichtige Projekte wie die EXIT-Strategie ausgearbeitet, das Streetwork erweitert und Präventions- und Auf klärungsmaßnahmen umgesetzt.

Andererseits wurde in Bezug auf das 2018 er Gesetz festgestellt, dass ein Straftatbestand geschaffen wurde, der in der Praxis nicht angewandt wird. Es bestätigte sich demnach die anfängliche Skepsis der Staatsanwaltschaft sowie des Staatsrats im Hinblick auf die Durchführbarkeit der Beweisführung, ob es sich bei einer Person, die Sexarbeit verrichtet, um eine vulnerable Person handelt. Auch in Bezug auf die vorgesehene Straffreiheit für den Kunden, wenn er als Zeuge auftritt, bestätigten sich die Bedenken der Gerichtsbarkelten, da ein potenziell Angeklagter in der Regel frei nach dem Rechtsgrundsatz Nemo tenetur se ipsum accusare keine Aussagen trifft, die ihn belasten.

forum: Welche Schritte unternimmt Ihr Ministerium, um sicherzustellen, dass Sexarbeitspolitik die Lebensrealitäten marginalisierter Gruppen (z. B. Migrant*innen, trans Personen, Geflüchtete) gezielt einbezieht?

Yuriko Backes: Generell versucht das Ministerium, dem Konzept der Intersektionalität verstärkt Rechnung zu tragen. In Bezug auf Sexarbeit ist es ja beispielsweise schon so, dass das dropln, welches integral vom Gleichstellungsministerium finanziert wird, überwiegend Sexarbeitende betreut, die durch aus der Lebensrealität marginalisierter Gruppen entsprechen. Aber natürlich muss die Regierung sich bei weiteren politischen Maßnahmen - zum Beispiel einer Neuauflage des Nationalen Aktionsplans - auf eine Bestandsaufnahme stützen, die die Diversität von Personen in der Sexarbeit anerkennt und integriert.

forum: Viele Gesetze zu Sexarbeit entstehen ohne direkte Mitsprache von Sexarbeitenden. Auch am Comité Prostitution wird kritisiert, dass dort keine Sexarbeitenden vertreten sind. Würden Sie hier entsprechende Änderungen unterstützen?

Yuriko Backes: Ganz klar, ja... aber das ist leichter gedacht als getan. In einem Land, wo jeder jeden kennt, ist der Wunsch nach Anonymität nur allzu verständlich. Es gibt in Luxemburg keine Organisation, die die Interessen der Sexarbeit vertritt. Hinzu kommt die Tatsache, dass Sexarbeit als berufliche Aktivität nicht anerkannt ist, was eine gewerkschaftliche Mitgliedschaft unmöglich macht. In anderen Ländern wie Deutschland oder Frankreich, wo es solche Organisationen gibt und vereinzelt Sexarbeitende auch in Gewerkschaften aktiv sind, ist das anders.

Das Comité Prostitution hat zusammen mit dem dropln diese Herausforderung erörtert und nach Wegen gesucht, wie man den Austausch mit den Betroffenen auf eine Art und Weise organisieren kann, die die Anonymität wahrt.

forum: Welche kurzfristigen und langfristigen Prioritäten und Ziele verfolgen Sie im Bereich der Sexarbeit?

Yuriko Backes: Im Koalitionsvertrag 2023-2028 steht nichts, was an politischen Prioritäten und Zielen in Bezug auf Sexarbeit zu erfüllen ist. Das heißt allerdings nicht, dass das Ministerium inaktiv ist. Wir werden uns deshalb die Empfehlungen des Comité Prostitution genau ansehen, insbesondere die Idee, eine Studie in Auftrag zu geben, die die Sexarbeit in Luxemburg ganzheitlich beleuchtet.

forum: Manche Menschen, mit denen ich gesprochen habe, sagen, Luxemburg verfolge mit seiner aktuellen Gesetzgebung in der Sexarbeitspolitik "keine klare Vision". Teilen Sie diese Einschätzung?

Yuriko Backes: In Teilen kann ich das nachvollziehen, in Teilen aber auch nicht, weil ich mich mit dem Begriff "Vision" in Bezug auf Sexarbeit schwertue. Sexarbeit ist und bleibt ein sehr komplexes und vor allem ein sehr sensibles Thema, dem ich mich mit dem nötigen Wissen und Fingerspitzengefühl widmen möchte, ohne den Versuch zu unternehmen, Schnellschüsse in Richtung hochtrabender Versprechungen und Visionen zu unternehmen.

forum: Wo möchten Sie idealerweise am Ende Ihrer Arbeit als Ministerin stehen, was die Lebenssituation, Rechte und Sichtbarkeit von Sexarbeitenden betet?

Yuriko Backes: Ich wünsche mir eine tabufreie und entspannte Debatte zu diesem Thema, die alle Fragen rechtlicher und gesellschaftspolitischer Natur erörtert, und gegebenenfalls in ein Modell resultiert, in dem sich in erster Linie die Betroffenen wiederfinden. Vielleicht gelingt uns das noch in dieser Legislaturperiode, vielleicht bedarf es aber auch etwas länger aufgrund der gebotenen Gründlichkeit.

[1] 14. Oktober 2025: https://today.rtl.lu/news/ luxembourg/a/2167817.html

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