09/17/2025 | News release | Distributed by Public on 09/17/2025 01:30
Matthias Kettemann, Leiter des Innsbruck Quantum Ethics Labs und Mitglied der Weltkommission für Wissenschafts- und Technologieethik, präsentiert heute in Paris den ersten Bericht über Quantenethik und Quantengovernance im Weltethik-Komitee der UNESCO. Im Interview erklärt er, warum es Quantenethik braucht und welche Ziele in dem Bericht formuliert sind.
Welche Chancen und Risiken sehen Sie im Hinblick auf die gesellschaftlichen Auswirkungen von Quantencomputern, und warum ist es wichtig, diese bereits jetzt ethisch zu reflektieren?
Quantencomputer können enorme Fortschritte ermöglichen - etwa in Medizin, Materialwissenschaft, Klimaforschung oder sicherer Kommunikation. Gleichzeitig drohen Risiken: von der Bedrohung heutiger Verschlüsselung über neue Formen von Überwachung bis hin zu geopolitischen Machtverschiebungen und Umweltbelastungen. Auch die Vertiefung des digitalen Grabens ist eine Herausforderung. Weil die Technologie noch im Entstehen ist, besteht jetzt die Chance, ethische Leitplanken zu setzen - bevor Fehlentwicklungen wie bei sozialen Medien oder KI schwer korrigierbar werden.
Welche ethischen Prinzipien und Werte hebt der Bericht besonders hervor, um die Entwicklung und Nutzung von Quantencomputern verantwortungsvoll zu gestalten?
Zentrale Werte sind Menschenrechte, Fairness und Nachhaltigkeit. Hinzu kommen Sicherheit und Verantwortlichkeit, Transparenz und Erklärbarkeit sowie demokratische Teilhabe und Inklusivität. Besonders betont wird auch die internationale Solidarität und die Pflicht zur intergenerationellen Gerechtigkeit, damit Nutzen und Lasten fair verteilt werden. Der Bericht plädiert für einen vorausschauenden, menschenrechtsbasierten und inklusiven Governance-Ansatz, um Quantencomputer als Motor für globale Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit zu nutzen - und nicht als Quelle neuer Ungleichheiten oder Konflikte. Diesen Weg zu gehen ist nicht nur ethisch geboten, sondern auch geostrategisch zwingend. Die EU tut sich sehr schwer, die großen Digitalfirmen Amerikas und Chinas unter Kontrolle zu bringen. Das ist auch Konsequenz von zwei Jahrzehnten verpasster Regulierung und des Fehlens eines globalen Governance-Rahmens für die Plattformen.
Welche konkreten Empfehlungen gibt der Report für Politik, Forschung und internationale Zusammenarbeit, damit Quantencomputer zu einem globalen öffentlichen Gut werden können?
In der Forschung sollen Ethik und Transparenz von Anfang an eingebettet, Post-Quantum-Kryptografie entwickelt und offene Zugänge gefördert werden. Staaten sollen Bürger:innen und Unternehmen über Risiken aufklären, Bildungsprogramme und Umschulung fördern und für eine gerechte Verteilung der Vorteile sorgen. International empfiehlt der Report multilaterale Kooperation, Multistakeholderforen - wie das Internet Governance Forum - und die Fortführung aktuell schon angelaufener gemeinsamer Prozesse der Standardsetzung bis hin zu einem globalen Abkommen, um Quantencomputing als öffentliches Gut zu sichern. Der Bericht kann dafür eine Grundlage sein. Auch die UNESCO-Empfehlung zu KI-Ethik, die erste von allen Staaten der Welt angenommene Rahmenvereinbarung für menschenzentrierte und entwicklungsorientierte KI, wurde in demselben Komitee vorbereitet, das nun den Bericht zu Quanten Computing vorgelegt hat.
Matthias C. Kettemann (* 1983 in Graz) ist Rechtswissenschaftler mit Schwerpunkt auf Internetrecht, Digitalisierung und Rechtsphilosophie. Er studierte in Graz, Genf und Harvard (LL.M.) und habilitierte sich an der Goethe-Universität Frankfurt über die normative Ordnung des Internets. Seit 2021 ist er Universitätsprofessor für Innovation, Theorie und Philosophie des Rechts an der Universität Innsbruck und leitet das Innsbruck Quantum Ethics Lab. Seine Forschung befasst sich vor allem mit Plattform-Governance, Menschenrechten im digitalen Raum und der Regulierung neuer Technologien.