Die Prävalenz von Übergewicht und Adipositas in den Ländern der Europäischen Region der WHO bleibt unvermindert hoch und begünstigt Diabetes, Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und andere lebensbedrohliche nichtübertragbare Krankheiten. Gleichzeitig neigen Eltern von übergewichtigen oder adipösen Kindern dazu, den Gewichtsstatus ihrer Kinder zu unterschätzen. So lauten die Ergebnisse des neuen Berichts von WHO/Europa, der auf der sechsten Runde der Initiative der Europäischen Region der WHO zur Überwachung von Adipositas im Kindesalter (COSI) beruht und verdeutlicht, dass die Adipositasepidemie in der Europäischen Region sich zu stabilisieren scheint.
Die COSI-Studie bietet das bisher umfassendste Bild von Wachstum, Lebensstil und Gesundheitsverhalten von Kindern in der Europäischen Region. Der Bericht über die sechste Runde ist der erste, der sich vollständig auf Daten stützt, die seit dem Höhepunkt der COVID-19-Pandemie erhoben wurden. Er enthält Messungen von rund 470 000 Kindern im Alter von 6 bis 9 Jahren aus 37 Ländern sowie zusätzliche Informationen über die Familien und das Gesundheitsverhalten von über 150 000 Kindern.
Eine vielschichtige Gesundheitsbedrohung
In den teilnehmenden Ländern lebte ein Viertel der Kinder (25 %) in der Altersgruppe von 7 bis 9 Jahren mit Übergewicht (einschließlich Adipositas) und rund ein Zehntel (11 %) mit Adipositas. Dabei waren Jungen (13 %) häufiger von Adipositas betroffen als Mädchen (9 %), wobei die Prävalenz sehr unterschiedlich ausfiel.
In den meisten der teilnehmenden Länder lebte mehr als eines von zehn Kindern, in mehreren südeuropäischen Ländern sogar fast jedes fünfte mit Adipositas.
Der Gesamttrend war weitgehend stabil, aber dort, wo Veränderungen auftraten, war es häufiger ein Anstieg als ein Rückgang.
Zum ersten Mal berichtete die COSI auch über Dünnheit - ein Hinweis darauf, dass Unterernährung und Übergewicht in mehreren Ländern nebeneinander bestehen. Diese doppelte Belastung durch Fehlernährung verdeutlicht die anhaltende Ungleichheit zwischen wie auch innerhalb von Ländern.
Unterschätzung in allen Ländern
Die in Runde 6 der COSI neu erhobenen Daten zur elterlichen Wahrnehmung verdeutlichen, dass es erheblich an Bewusstsein mangelt. So wurden insgesamt fast zwei Drittel (66 %) der Kinder, die mit Übergewicht leben, von ihren Eltern als untergewichtig oder normalgewichtig eingestuft. In allen Ländern, für die Daten verfügbar waren, unterschätzten mehr als die Hälfte der Eltern von übergewichtigen Kindern den Gewichtsstatus ihrer Kinder.
Obst, Gemüse und Online-Bestellung von Lebensmitteln
Dem COSI-Bericht zufolge aßen nur 46 % der Kinder täglich frisches Obst, und nur 32 % aßen mindestens einmal täglich Gemüse. Weniger als 5 % entsprachen der Empfehlung der WHO, täglich fünf Portionen Obst und Gemüse zu verzehren.
Ungesunde Lebensmittel sind nach wie vor weit verbreitet: 41 % der Kinder essen Süßigkeiten, 29 % trinken zuckerhaltige Erfrischungsgetränke und 16 % konsumieren mehr als dreimal pro Woche herzhafte Snacks.
Dabei besteht ein Zusammenhang zwischen dem Ernährungsverhalten und dem sozioökonomischen Hintergrund: So ernähren sich Kinder von Eltern mit höherem Bildungsniveau häufiger gesünder, während der häufige Verzehr von zuckerhaltigen oder salzigen Knabbereien in Familien mit niedrigerem Bildungsniveau der Eltern verbreiteter ist.
Erstmals untersuchte die COSI-Studie auch online bestellte Lebensmittel, die bei der Ernährung eine immer wichtigere Rolle spielen. In den 18 untersuchten Ländern hat mehr als die Hälfte der Familien selten oder nie Lebensmittel online bestellt, aber bis zu 39 % gaben an, dies mindestens einmal im Monat zu tun, was auf einen Trend hin zu zubereiteten oder gelieferten Mahlzeiten hindeutet.
Bewegung, Bildschirmzeit und Schlaf
53 % Prozent der Kinder legten den Schulweg aktiv zurück - zu Fuß, mit dem Fahrrad oder auf Skates -, während 40 % motorisierte Verkehrsmittel nutzten. Kinder aus Familien mit geringerer elterlicher Bildung gingen eher zu Fuß oder fuhren mit dem Fahrrad, was zeigt, dass die aktive Fortbewegung zum Teil von den sozioökonomischen Umständen abhängt.
Fast alle Eltern gaben an, dass ihr Kind mindestens eine Stunde pro Tag aktiv oder intensiv spielt, was den Empfehlungen der WHO entspricht. 89 % der Kinder schliefen mindestens neun Stunden pro Nacht, aber weniger als die Hälfte (47 %) erreichte zehn Stunden.
Die Ergebnisse der COSI-Studie bestätigen, dass sich einige Verhaltensweisen seit dem Höhepunkt der COVID-19-Pandemie nur teilweise erholt haben und in vielen Ländern sitzende Tätigkeiten nach wie vor stärker verbreitet sind. Insgesamt verbrachten 42 % der Kinder wochentags und 78 % am Wochenende mindestens zwei Stunden täglich vor dem Bildschirm. Jungen verbrachten tendenziell etwas mehr Zeit am Bildschirm als Mädchen, und Kinder von Eltern mit geringerer Bildung verbrachten mehr Zeit am Bildschirm.
Es gibt kein Patentrezept: ein Aufruf zum Handeln
"Die Daten aus Runde 6 der COSI deuten darauf hin, dass sich die Prävalenz in einigen Ländern zwar stabilisiert, dass aber Übergewicht und Adipositas im Kindesalter nach wie vor alarmierend hoch sind und die Gesundheit heutiger und künftiger Generationen bedrohen", sagte Dr. Kremlin Wickramasinghe, Regionalbeauftragter für Ernährung, Bewegung und Adipositas bei WHO/Europa.
"Die Bekämpfung nichtübertragbarer Krankheiten bleibt im Zweiten Europäischen Arbeitsprogramm der WHO 2026-2030 eine Priorität. Die Stärkung und Ausweitung evidenzbasierter Konzepte zur Adipositasprävention ist ein wesentlicher Bestandteil dieser Bemühungen und entscheidend für den Schutz von Gesundheit und Wohlbefinden der Kinder in unserer Region", erklärt Dr. Gundo Weiler, Direktor der Abteilung Prävention und Gesundheitsförderung bei WHO/Europa.
Grundsatzempfehlungen
Zur Bewältigung der Adipositasproblematik empfiehlt die WHO u. a. folgende Maßnahmen:
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steuerpolitische Konzepte wie Steuern auf zuckerhaltige Getränke und Lebensmittel mit hohem Zucker-, Salz- und Transfettgehalt;
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Beschränkungen der Vermarktung ungesunder Lebensmittel und Getränke, insbesondere an Kinder;
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klare Lebensmittelkennzeichnung und strengere Anforderungen an den Nährwert von Schulmahlzeiten;
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Maßnahmen zur Förderung von körperlicher Betätigung und aktiver Fortbewegung.
Mit kontinuierlicher Überwachung, evidenzbasierten Konzepten und einer nachhaltigen Umsetzung der von der WHO empfohlenen Maßnahmen können die Länder der Europäischen Region die Adipositasepidemie aufhalten und umkehren und dafür sorgen, dass jedes Kind gesund aufwächst und sein Potenzial voll ausschöpfen kann.