10/26/2025 | Press release | Distributed by Public on 10/26/2025 12:49
Liebe Österreicherinnen und Österreicher und alle, die in Österreich leben!
Ich möchte heute mit Ihnen über gut und schlecht sprechen.
Mir ist das wichtig, weil wir in der Aufgeregtheit der öffentlichen Diskussion manchmal ungenau formulieren und dann Dinge schlechtreden, die gar nicht schlecht sind.
Ich meine damit den Kompromiss. Mit kaum einem Begriff wird so viel Schindluder getrieben wie mit diesem. Vielleicht noch mit dem Begriff der Heimat. Aber ich möchte heute über den Kompromiss sprechen. Über den guten alten Kompromiss.
Der gute Kompromiss ist der fruchtbare Keim der Zweiten Republik.
Denn wir haben dieses Land im Geist des Zuhörens aufgebaut. Im Geist des Ringens um eine gemeinsame Lösung zum größeren Wohl aller. Weil wir blutig gelernt haben, dass der Glaube, im Besitz der alleinigen und absoluten Wahrheit zu sein, geradewegs ins Verderben führt.
Vor nunmehr siebzig Jahren sagte Leopold Figl die berühmten Worte "Österreich ist frei".
Und unsere Heimat, die 1955 schon das zehnte Jahr frei war vom Terror der Nationalsozialisten, war nun frei für eine Zukunft in Wohlstand, in gegenseitigem Respekt, frei für eine Zeit des Blühens und des Optimismus.
Frei für ein Gedeihen in Demokratie, unter Wahrung der Grund- und Menschenrechte. Möglich gemacht hat das der gute Kompromiss. Die Versöhnung und die Zusammenarbeit zwischen vormals erbitterten politischen Gegnern.
Aufzeichnung der TV-Ansprache von Bundespräsident Alexander Van der Bellen im Maria-Theresien-Zimmer (Foto: Peter Lechner/HBF).
Meine Damen und Herren, man kann sagen, dass der Keim für unsere österreichische Heimat im Geist der Lagerstraße begründet wurde.
Sozialdemokraten, Christlichsoziale und Kommunisten fanden - sofern sie überlebt - in den KZs der Nazis zueinander.
Sie entwickelten Respekt und Verständnis füreinander und sie erkannten, dass sie einander brauchten und dass sie viel gemeinsam haben. Sie erkannten, dass eine lebendige Demokratie und ein freier Staat erst durch den Kompromiss leben kann.
Durch den guten Kompromiss, wohlgemerkt.
Ich weiß schon, manche Menschen gefallen sich darin, zu sagen: "Ein Kompromiss ist etwas, bei dem beide Seiten verlieren."
Und es stimmt, das wäre auch ein Kompromiss, allerdings ein schlechter.
Ein schlechter Kompromiss tut nur so, als wäre er eine Lösung. Zum Beispiel weil er nur aus Angst gemacht wurde, es irgend jemand nicht recht zu machen. Er schummelt sich am eigentlichen Problem vorbei.
Der gute Kompromiss hingegen behält das größere Wohl aller im Auge. Aus Position A und B wird die bessere Lösung C. Die gemeinsame Lösung C. Die breit getragene Lösung C.
Der gute Kompromiss ist die Grundlage des Erfolgsmodells Österreich.
Der gute Kompromiss hat uns durch die Wirrnisse der Vergangenheit geführt.
Und er kann uns auch durch die Herausforderungen der Gegenwart führen.
Wir dürfen ihn nicht aufgeben. Der gute Kompromiss bewahrt uns davor, uns gegenseitig zu bekämpfen. Er zwingt uns dazu, die jeweils andere Seite zu verstehen.
Er zwingt uns dazu, auch an die jeweils andere Seite zu denken.
Der gute Kompromiss ist lebenswichtig für unsere Demokratie.
Er bildet das Fundament unserer liberalen Demokratie. Er ist die Grundlage dafür, dass unser Miteinander überhaupt erst funktionierten kann. Denn niemand ist im alleinigen Besitz der Weisheit. Nur wenn man es schafft, die einzelnen Perspektiven zu einer größeren Sicht auf die Dinge zu verbinden, kommt man gemeinsam weiter. Der gute Kompromiss ist österreichisches Kulturgut!
Aber für einen guten, - keinen faulen - Kompromiss müssen alle Beteiligten verantwortungsvoll handeln. Sie müssen fähig sein, abzuwägen, wie weit der eigene Nutzen gehen darf und wann dieser einer vernünftigen Lösung im Weg steht. Und aus diesem Grund müssen alle Beteiligten auch bereit sein, notfalls unpopuläre Entscheidungen zu treffen.
Was meine ich damit konkret?
Die Lage, in der sich unsere Heimat Österreich heute befindet, fordert die Fähigkeit zum verantwortungsvollen, also zum guten Kompromiss ein. Die internationale Politik, die wirtschaftliche Situation, die Budgetlage erfordern mutige Entscheidungen. Verantwortung sieht hier nicht weg, sondern nimmt wahr, dass dies eine günstige Gelegenheit - eine opportunity - zu prinzipiellen, strukturellen Veränderungen ist. Und geht sie mutig an, auch wenn es weh tut.
Weil es noch mehr weh tun wird, nichts zu ändern.
Wir spüren doch alle, dass die Bereiche Teuerung, Wirtschaftsstandort, Energie, Gesundheit, Bildung sowie die Klimakrise entschiedenes Handeln erfordern. Und das wird nicht allen politisch Beteiligten gleich gut gefallen.
Aber es geht eben nicht nur um die einzelnen Beteiligten. Es geht ums Ganze. Es geht um Österreich. Und im Sinne des Ganzen, der bestmöglichen, ganzheitlichen Lösung für alle Beteiligten, muss nun gehandelt werden.
Weil es noch mehr weh tun wird, nicht zu handeln.
Und, ja, es gibt die Chance auf Veränderung zum Guten.
Das möchte ich allen Politikerinnen und Politikern zurufen, die jetzt in der Pflicht stehen: Schließen Sie gute, tragfähige Kompromisse! Ganz egal ob auf Bundes-, Landes- oder Gemeindeebene. Und die Opposition ist natürlich auch gefragt, sich zu beteiligen.
Es gibt die Chance auf Veränderung zum Guten. Geben Sie sich einen Ruck! Nur Mut! Machen Sie einen Schritt nach vorne! Trauen Sie sich! Österreich ist bei Ihnen.
Für den guten Kompromiss waren wir immer zu haben. Er hat uns groß gemacht und er wird uns weiterhelfen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und schönen Abend!
Fotos: Peter Lechner/HBF
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