10/30/2025 | News release | Distributed by Public on 10/28/2025 18:06
30. Oktober 2025 | Aktuell / SEV Zeitung
Am kommenden 25. November feiern wir 25 Jahre der ersten Charta für mehr Sicherheit im öffentlichen Verkehr und erneuern sie. Ein Rückblick auf die Anfänge im Jahr 2000.
Drei der Kollegen, die im Jahr 2000 die Charta gegen Gewalt initiiert haben, erzählen von den Anfängen und dem Kampf bis 2007, um Übergriffe gegen das Verkehrspersonal im Gesetz als Offizialdelikt zu verankern. Andere bekannte Mitglieder der «Groupe autonome des transports urbains» (Gatu), die inzwischen in den VPT integriert wurde, konnten nicht freinehmen oder sind bereits gestorben. Am Tisch sitzen Johan Pain, «geistiger Vater» der Charta von 2000 und langjähriger Präsident der Gatu, Ex-Präsident der VPT-Sektion TL und Buschauffeur in Lausanne von 1986 bis zur Pensionierung 2015, Gilbert D'Alessandro, ehemaliges Vorstandsmitglied der Gatu und ehemaliger Präsident der VPT-Sektion TPF urbain, aktuell Zentralpräsident VPT und Buschauffeur in Freiburg, sowie Pierre Dovat, Sekretär der Gatu, pensionierter Bus- und Tramfahrer in Genf, Vorstandsmitglied und Ex-Präsident der VPT-Sektion TPG-Exploitation.
Wie kam euch 2000 die Idee, eine Charta gegen Gewalt zu schaffen?
Johan Pain: In der Westschweiz gab es Probleme mit Gewalt, die wir in der Gatu direkt miterlebt haben. Wir hatten keinen Schutz.
Gilbert D'Alessandro: Sowohl Fahrpersonal als auch Kontrolleure hatten ein Gefühl von Unsicherheit. Als ich zur Gruppe stiess, kämpften wir sowohl gegen physische als auch gegen verbale Gewalt. Beides tut weh, wie auch gewisse Gesten. 1998 wurde ich bösartig angegriffen. Bei den TPF gab es überhaupt nichts. Das führte mich zur Gatu und weckte das Bedürfnis, an dieser Charta zu arbeiten.
JP: Wir haben uns mit Gewerkschaftern aus anderen europäischen Städten wie etwa Montpellier ausgetauscht und getroffen und dabei erfahren, dass sie über eine Charta verfügen. Wir haben die französischen Kollegen nach Lausanne eingeladen. Dort haben wir einen Runden Tisch organisiert mit dem Vorstand der Westschweizer Sektionen der Gatu, Vertretern der TL, der TPF urbain und der TPG sowie SEV-Gewerkschaftssekretär Francis Barbezat. Die Unternehmen fanden die Idee der Charta gut und sprachen sich für eine Zusammenarbeit aus.
Pierre Dovat: Wir vom Gatu-Vostand haben mit der Hilfe von Francis Barbezat den Text verfasst. Er musste überzeugend sein!
Weshalb liegen die Anfänge der Charta weitgehend in der Romandie?
GD: Man muss verstehen, was die Gatu war. Es war ein Zusammenschluss von Leuten, die mit dem Unterverband VPT nicht zufrieden waren. Eine unabhängige Gruppe. Es waren fast alles - gegen 90 % - Leute der städtischen Busbetriebe in der Romandie. Hinzu kamen die STI im Berner Oberland sowie die Fart und TPL im Tessin. In der übrigen Schweiz hatte der SEV keine grossen städtischen Verkehrsbetriebe. Wir kontaktierten dann VPOD und Syndicom.
PD: Die Gatu war vor allem in der Romandie aktiv. Logischerweise waren dann die ersten Unternehmungen, die am 16. November 2000 unterzeichneten, aus der Westschweiz: TL, TPG, TPF, TN, VCMV und TRN.
JP: Bernmobil war die erste Deutschschweizer Unternehmung, die 2001 die Charta unterzeichnete. Aus historischen Gründen ist ihr Personal beim VPOD organisiert. Das gilt auch für die städtischen Verkehrsbetriebe in Zürich und Biel. Postauto hat 2002 unterzeichnet. Anschliessend die Schifffahrtsunternehmen.
Das Thema Gewalt betraf aber auch die Kolleginnen und Kollegen der SBB, oder?
JP: Ja, aber von den SBB-Unterverbänden hat uns nur der ZPV unterstützt, weil Kundenbegleiter:innen ebenfalls betroffen waren.
GD: Vor allem mit dem ZPV Lausanne hatten wir engen Kontakt. Deshalb hat die SBB die Charta 2002 unterzeichnet, zumindest der Lausanner Ableger der SBB.
JP: Im SEV kam alles schlecht an, was die Gatu einbrachte, und es gab gelegentlich sehr laute Diskussionen. Wir wurden als zu revolutionär und zu links erachtet. Wir wollten eine Basisgewerkschaft. Diese Charta, die an der Basis entstanden war, passte ihnen nicht wirklich.
PD: Dabei wollten wir einfach unsere Chauffeur-Kollegen schützen. Wir verlangten beispielsweise eine paritätische Arbeitsgruppe von Unternehmen und Gewerkschaft, um die Charta umzusetzen und um präventive Massnahmen und Unterstützung im Fall von Übergriffen zu erhalten. Das führte zur Installation von Kameras in den Bussen.
JP: Ausser bei den TL. Das ist der einzige Waadtländer Busbetrieb ohne Überwachungskameras. Ich habe das im Gemeinderat von Lausanne kritisiert.
Jetzt gibt euch die Geschichte recht!
JP: Wir schreiben die Geschichte nicht neu. Aber tatsächlich ist es wichtig, dass die Ideen von der Basis kommen und die Gewerkschaft für deren Umsetzung sorgt. Das gilt sowohl bei der Sicherheit unserer Kolleg:innen als auch bei den Umfragen zu ihrer Gesundheit. Ich bin stolz zu sehen, dass diese beiden Anliegen beim SEV 2025 im Mittelpunkt stehen.
Hattet ihr 2000 schon den Gedanken, dass Gewalt gegen das Verkehrspersonal zu einem Offizialdelikt werden könnte?
GD: Ja, tatsächlich. Wir wollten uns am französischen Modell orientieren. Zur Erinnerung: Es waren Busfahrer, die die Charta verfasst haben! Wir hatten das im Auge, aber wussten nicht, wie wir es formulieren sollten. Aber das war der Gedanke hinter dem Abschnitt am Schluss der Charta, dass man die Gesetzgebung anpassen solle, um unsere moralische und physische Integrität zu stärken.
JP: Hier spielte Erwin Jutzet eine wichtige Rolle. Er war Freiburger Nationalrat der SP und Vertrauensanwalt beim SEV. Er sah den Weg, wie unsere Idee ins Gesetz kommen konnte. Er reichte im Nationalrat eine Motion ein, die 2007 dazu führte, dass die Offizialdeliktregelung in den Artikel 59 des Personenbeförderungsgesetzes (PBG) aufgenommen wurde.
PD: Unsere Petition mit 10 000 Unterschriften gegen Gewalt im öffentlichen Verkehr, die wir im März 2006 eingereicht haben, hat der Motion Jutzet ebenfalls geholfen.
GD: 10 000 Unterschriften waren für eine kleine Gruppe wie uns eine enorme Zahl. In der Deutschschweiz haben Jürg Hurni, damals Zugchef im ZPV, und der damalige Vizepräsident des SEV, François Gatabin, eine wichtige Rolle beim SBB-Personal gespielt.
Und wie ist es zum Kleber in den Bussen gekommen?
GD: Der SEV-Kongress 2009 hat die Resolution «Safety first - die Sicherheit hat Vorrang» angenommen und damit erreicht, dass dieser Artikel 59 besser bekannt gemacht werden soll. Im September 2010 haben der SEV und der VöV mit Unterstützung des BAV diesen prächtigen Kleber vorgestellt, der inzwischen in den öffentlichen Verkehrsmitteln die Reisenden informiert.
Er hält fest, dass Übergriffe gemäss dem Strafgesetz gegenüber dem Personal des öffentlichen Verkehrs von Amtes wegen verfolgt werden. Was ist eure erste Reaktion, wenn ihr die neue Charta von 2025 lest, die zurzeit zur Unterschrift zirkuliert?
JP: Sie ist farbig (lacht)! Ich finde es gut, dass genauer gesagt wird, was man unter Gewalt und Aggression versteht. Gegen Beschimpfungen und mündliche Angriffe zu kämpfen ist auch sehr wichtig. Wenn das Unternehmen einen verbalen Angriff nicht anzeigen wollte, sprang die Sektion ein und machte eine Anzeige bei der Strafbehörde. Auch Fahrgäste können Aggressionen als Zeugen anzeigen. Aber richtig ist natürlich, wenn Unternehmen dies systematisch machen, damit die Behörden die Strafverfolgung nach Art. 59 PBG aufnehmen können.
Wie beurteilt ihr die letzen 25 Jahre heute?
GD: Ich bin sehr stolz auf die Entwicklung, wie unsere Gewerkschaft die Sicherheit der Kolleginnen und Kollegen verteidigt. Der SEV muss sich daran erinnern, dass es Aktivisten waren, die sich für diese Charta eingesetzt haben!
JP: Auch ich bin sehr stolz, auch wenn die Gatu und ihre Rolle bei alldem inzwischen weitgehend vergessen ist. Mit diesem Interview geben wir ihr wieder etwas Glanz, das gefällt mir.
Yves Sancey
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Dienstag, 25. November 2025, 10 bis 15.15 Uhr, Unia Egghölzli, Bern
9.30 Uhr Willkommenskaffee
10.00 Uhr Eröffnungsrede
10.30 Uhr Runder Tisch: Erfahrungs-berichte von Betroffenen
11.25 Uhr Präsentationen: Bewährte Praktiken im Fall eines Übergriffs
12.15 Uhr Mittagessen
13:00 Uhr Runder Tisch zu Art. 59 PBG: Sichtweisen von Justiz, Unternehmen und SEV.
14.30 Uhr Unterzeichnung Charta 2025
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